Illustrationen müssen „im geschäftlichen Interesse ein bischen lügen“ – Medienkritik im Jahr 1888

„Die Xylographen unserer illustrierten Zeitungen fixieren mit unermüdlicher Eilfertigkeit die brühwarmen Ereignisse vom letzten Datum. Ihre nächste Aufgabe ist es, der sinnlichen Vorstellungsträgheit der Zeitungsleser nachzuhelfen, nicht aber ein urkundliches Bild des Faktums zu geben, was in den meisten Fällen gar nicht geleistet werden kann. […] Und was hierbei das Bedenklichste ist: die Kunst, welche die ehrlichste sein sollte, weil sie direkt der Natur verpflichtet ist, sie lernt lügen, ja sie muß im geschäftlichen Interesse ein bischen lügen. Auch auf dem Schauplatz des Ereignisses kann derReporter mit der Zeichenmappe, der vielberufene ‚Spezial-Artist‘, ohne eine gewissen Anschauungsschablone nicht fertig werden; selbst die flinkste Sehkraft wäre dem Wettlauf mit dem rein Momentanen nicht gewachsen. Das Illustrations-Gewissen ist denn mit der Zeit ziemlich lax geworden. Das große Reitergefecht, von welchem das letzte Telegramm berichtete, muß möglichst rasch gebracht werden. Warum nicht? Nach den gegebenen Terrainverhältnissen, nach der von den Manövern her bekannten Kampfweise der beiden Kriegsparteien dürfte das ganz so beiläufig ausgesehen haben. Dieses ‚So beiläufig‘ ist das Sujet der Illustration. Ganz ebenso, wenn es sich um das Bild einer Regatta, einer Illumination, eines pomphaften Empfanges allerhöchster Gäste, eines Festbanketts zu irgend einer Säkularfeier u.s.w. handelt.“ (Bayer 1888, S. 3)

Ein Beispiel für das laxe „Illustrations-Gewissen“

Extrabeilage zu Ueber Land und Meer Nr 24/1888,  S. 1
Die Gartenlaube Nr. 11/1888, S. 169

 Das Ereignis: Die Fahne auf dem kaiserlichen Palais wird am 9. März 1888 auf halbmast gesetzt, um den Tod Wilhelm des Ersten bekannt zu geben. Den Lesern der Zeitschriften Die Gartenlaube und Über Land und Meer soll jeweils ein unmittelbarer Eindruck von diesem zeremoniellen Moment über eine Illustration vermittelt werden. In der Gartenlaube senkt ein Bediensteter die Fahne, während in der Zeitschrift Über Land und Meer diese Aufgabe von einem Mitglied der Leibgarde ausgeführt wird. (vgl. Der Kunstwart 1887 – 1888, S. 193) Da fragt man sich doch, welche Bedeutung es haben soll, dass in der Gartenlaube von einer „Originalzeichnung“ die Rede ist.

Literatur

Bayer, Joseph [1888]: Illustrationen. In: Neue Freie Presse vom 23. März/1888, S. 1 – 3
Der Kunstwart H. 14/1887 – 1888, S. 193


Quantifizierung und Datafizierung – Vom Barometer zum Wettersatelliten

Meteorologie und Medienbildung? In einer „datengetriebenen Wissenschaft“ wie der Meteorologie waren und sind die Möglichkeiten der Informationsgewinnung und Informationsverarbeitung,  wozu Sichtbarmachen, Messen, Speichern, Kommunizieren, Sammeln, Klassifizieren, Analy­sieren, Vergleichen, Visualisieren, Modellieren und Simulieren zählen, von den zur Verfügung stehenden medialen Techniken abhängig.

Wettersatelliten die ‚Superaugen‘ der Meteorologen: Damit eine Wettervorhersage funktioniert, bedarf es zunächst einer möglichst genauen Analyse des „Ist-Zustandes“ der Atmosphäre. Auf dem Land liefern Wetterstationen mit einer mehr oder weniger großen Abdeckung einen wesentlichen Teil der notwendigen Daten. Auf den Ozeanen sieht das schon etwas anders aus. Dort erfassen z. B. Bojen, Schiffe und Flugzeuge zwar auch meteorologische Daten, allerdings mit einer in hohem Maße unzureichenden Abdeckung. Daraus resultieren größere Fehler in der Analyse des Ist-Zustands und somit beispielsweise auch Einbußen in der Qualität der computergestützten Wetterprognose. Dort, wo zu wenige oder gar fehlende Messungen den Meteorologen und die Wettermodelle ‚blind‘ machen würden, springen die Wettersatelliten in die Bresche. (Leyser 2016)

Wettersatelliten sind aus dem Alltag der Meteorologen nicht mehr wegzudenken. Sie sind ein unverzichtbares Werkzeug für die Analyse und Vorhersage verschiedenster Prozesse in der Atmosphäre. An den Wettersatelliten wird deutlich, dass beim Blick auf Medien mehr als die Technik im Sinne der Apparate und Systeme in den Blick genommen werden muss.

In Techniken materialisieren sich „Programme der Weltaneignung“. „Wetter“ erlebt man. Über „Witterung“ muss man Buch führen. Damit war die Meteorologie als „Witterungskunde“ von Anfang an abhängig von den technischen Möglichkeiten im Bereich der Datenerfassung, der Datenverarbeitung und der Kommunikation.

Ein Rückblick auf die Entwicklung der Meteorologie zeigt, dass sich der Begriff Technik dabei nicht nur auf die eingesetzten Instrumente und Apparate als solche bezieht, sondern auch auf Verfahrensweisen und ihre Anwendung im Kontext organisatorischer und institutioneller Rahmenbedingungen.

Temperatur- und Luftdruckveränderungen werden von uns wahrgenommen, wenn auch

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Barometrograph

die „Wetterfühligkeit“ individuell unterschiedlich stark ausgeprägt sein mag. Bei dem Thermometer und dem Barometer, wie sie im Laufe des 17. Jahrhundert entwickelt wurden, können die Veränderungen von Temperatur und Luftdruck an der Bewegung der Quecksilbersäule abgelesen und gemessen werden. Sie lassen sich also als Medien auffassen, durch die Umweltphänomene sichtbar und damit mess- und analysierbar werden.

Aber bevor Thermometer und Barometer zu Hauptinstrumenten der Meteorologie werden konnten, musste sich die „Witterungskunde“ erst einmal in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als ein ernst zu nehmendes Gebiet naturwissenschaftlicher Forschung etablieren. 1778 konnte der Physiker und Mathematiker Johann Lorenz Böckmann feststellen:
Die Untersuchung der mancherley verschiedenen Abwechselungen und Veränderungen in der uns umgebenden Atmosphäre fängt endlich an nach dem längst geäusserten Wunsche vieler großen Männer ein beträchtlicher Theil der practischen Naturlehre zu werden. […] Sie verdienet auch ohne allen Zweifel diese Achtung der Welt wegen ihres unläugbaren Einflusses in die ganze thierische und Pflanzen Oeconomie. (Böckmann 1778, S. 4f.)

Zum Gegenstand naturwissenschaftlicher Forschung kann die „Witterungslehre“ werden, bockmann-titelseiteweil man, wie Böckmann formuliert, davon ausgeht,
„[dass] wir alle periodischen Hauptveränderungen der Witterung mit nicht viel geringerer Gewißheit und Genauigkeit werden vorher bestimmen können, als unsre verschwisterte Freundinn, die Astronomie, es beym Laufe der Gestirne thut. (Böckmann 1778, S, 12)

Mit dem Bezug zur Astronomie und der auf diesem Gebiet erreichten wissenschaftlichen Erkenntnisse macht Böckmann deutlich, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit Thermometer, Barometer und andere Messgeräte zu Medien der Weltaneignung werden können:
Daß zuvörderst die Anzahl guter genauer Beobachter sich vermehre;
Daß in jedem jedem beträchtlichen Lande wenigstens an drey biß vier mit Auswahl bestimmten Orten tägliche Beobachtungen über die Veränderungen des Wetters uns so viel möglich zu rnämlichen Stunde des Tages sorgfältig angestellet und richtig aufgezeichnet werden; Daß man ferner in den Registern eine Sprache rede, das heißt, solche Zeichen gebrauche, die jedem Naturforscher an jeder Ecke der Welt gleich verständlich sind; Daß man deswegen Werkzeuge von einerley Materie und Eintheilung oder wenigstens solche gebrauche, die eine richtige und leichte Vergleichung mit einander erlauben,
Daß man bey den meteorologischen Instrumenten auf die größte innere Vollkommenheit sehe, […]. (Böckmann S. 16 f.)

Die Meteorologie ist eine „datengetriebene Wissenschaft„.Dies galt bereits für die Anfänge der „Witterungskunde“.  Aufschluss über Gesetzmäßigkeiten der Wetterabläufe als Grundlage für Wettervorhersagen konnte man sich nur über länderübergreifende Langzeituntersuchungen erhoffen. Tabellarische Übersichten reichten alleine nicht aus, um die dabei anfallende Datenmenge für eine Annalyse aufzubereiten. Von daher experimentierte man schon früh mit der grafischen Aufbereitung der Wetterdaten, z.B. in Diagrammen und synoptischen Wetterkarten.

Mehr zu den Anfängen der Meteorologie: quantifizierung-und-datafizierung_wetterkarten-und-wetterprognosen-310117

Literatur
Böckmann, Johann Lorenz [1778]: Wünsche und Aussichten zur Erweiterung und Vervollkommnung der Witterungslehre. Einsichtsvollen Naturforschern zur Prüfung und Theilnehmung dargestellt. Carlsruhe: Michael Maklot, Hochfürstl. Bad. Hofbuchhändler und Hofdrucker
Leyser, Adrian [2016]: Wettersatelliten: Der Meteorologen „Superaugen“ – http://www.wetterdienst.de/Deutschlandwetter/Thema_des_Tages/2472/wettersatelliten-der-meteorologen-superaugen
Traumüller, Friedrich [1885]: Die Mannheimer meteorologische Gesellschaft (1780 – 1795). Ein Beitrag zur Geschichte der Meteorologie. Leipzig: Dürrsche Buchhandlung

Abb. Barometrograph = selbstschreibendes Barometer aus Traumüller 1885, S. 40

Medialitätsbewusstsein (6): Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken

Die Entwicklung der Kulturtechnik „Schreiben“ kann nicht losgelöst von der Entwicklung physikalischer Artefakte, der Geräte und technischen Systeme, gesehen werden, selbst wenn uns dies nicht bewusst ist, weil wir das Schreiben „tief verinnerlicht“ haben. (Vgl. Ong 1982, S. 80)

Sönnecken’s neue Currentschriftfeder – F. Sönnecken in Bonn, dessen Rundschriftfeder Currentschreibfederschnell beliebt geworden ist, hat nunmehr, auf ähnlichen Principien fußend, eine Currentschriftfeder hergestellt, welche vornehmlich bezweckt, das wenn auch geringe Andrücken, welches bei den gewöhnlichen Federn nothwendigerweise stattfinden muß und einen Hauptgrund zur raschen Ermüdung, resp. zur Verminderung der Flüchtigkeit des Schreibens bildet, völlig unnöthig zu machen und den Schreiber zur größtmöglichen Ausdauer und raschen Niederschrift seiner Gedanken zu befähigen. In dem mittleren Theil besitzt diese Feder ein längliches Tintenbecken zur Fassung von einer größern Tintenmenge und zur Verhütung des Abtropfens; die Spitze ist nur wenig elastisch, kurz abgeschnitten und so abgerundet, daß keine scharfe Ecke bleibt und die Spitzen auch auf rauhem Papier nicht kratzen. […] Wir haben nach Prüfung der Sönnecken’schen Feder insbesondere die Feder mit schrägen Spitzen als sehr zweckmäßig gefunden, indem dieselbe auch das flüchtigste Schreiben leicht und ohne Anstoß gestattet und einen stets gleichbleibenden kräftigen Schriftzug liefert; durch die Vermeidung des Aufdrückens wird sie dem Vielschreiber zweifellos sehr angenehm, und es mag etwas wahres daran sein, wenn der Erfinder behauptet, sie bringe alle die Störungen in Wegfall, die so oft aus Widerspenstigkeit der Feder beim Schreiben entstehen und den Gedankenfluß hemmen, sie sei also so recht dazu angethan, den schnellen Gedanken möglichst leicht uns schnell wiederzugeben. (Illustrirte Zeitung Nr. 1789 vom 13.10. 1877, S. 296)

Literatur
Ong: Walter J. [1982]: Orality and Literacy. The Technologizing of the Word.
Routledge: London und New York.

Zur Wiederkehr des Schreibens im Geschriebenen – Von der Tontafel zur Harddisk (Neue Zürcher Zeitung vom 19.10.2007)
Der Kugelschreiber als Ergebnis einer evolutionären Schreibgeräte-Verdrängung (Spiegel online 29.09.2016)

 

 

Medialitätsbewusstsein (3): Die Schwierigkeiten, Sichtbares kommunizierbar zu machen

Je genauer man konkrete Praktiken der Mediennutzung und die intendierte Nutzung in den Blick nimmt, desto klarer zeigt sich im Vergleich konkurrierender Kulturtechniken ihr jeweiliges mediales Potential.

Wolken

Internationale Wolkennomenklatur und Medialität
Wolken können mit „unbewaffnetem Auge“ beobachtet werden, sind aber flüchtige Gebilde, die ihre Form und Farbe ständige verändern.

Um eine solche Verständigung über das Phänomen Wolken zu ermöglichen, veröffentlichte 1803 der britische Apotheker und Naturforscher Luke Howard einen Vorschlag für eine Klassifikation der unterschiedlichen Wolkenformationen. Für die drei von ihm identifizierten Grundtypen führte er die bis heute üblichen Begriffe Cirrus, Cumulus und Stratus ein. Auch wenn er dieses Grundschema durch die Kombination dieser Begriffe um vier weitere Wolkentypen erweiterte, ergaben sich daraus keine Probleme bei der Darstellung eines derart übersichtlichen Klassifikationsschemas. Goethe widmete Luke Howard zum „Ehrengedächtniß“ ein Gedicht. Darin heißt es:

Die Welt ist so groß und breit,
Der Himmel auch so hehr und weit,
Ich muß das alles mit Augen fassen,
Will sich aber nicht recht denken lassen.

Dich im Unendlichen zu finden,
Mußt unterscheiden und dann verbinden;
Drum danket mein beflügelt Lied
Dem Mann der Wolken unterschied. (Goethe Werke 1896, S. 39)

Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein hielt man jedoch eine exakte und allgemein gültige Klassifikation von Wolken für nicht möglich, da sprachliche Beschreibungen keine genauen und eindeutigen Vorstellungen von komplexen Wolkenformationen liefern können.
Auch Zeichnungen können aufgrund der komplexen und sich schnell verändernden brandes-wolkenbilderFormen keine eindeutigen Bilder liefern.
In der Frühzeit der Fotografie waren die erforderlichen Belichtungszeiten für das flüchtige Phänomen Wolken zu lang und die fotosensiblen Schichten überempfindlich für Blau, so dass sich Wolken – bei den notwendigen kurzen Belichtungs-zeiten – vor dem Himmel nicht genügend abhoben.

Erst nachdem seit 1870 orthochromatische Platten mit weitgehend farbwertrichtigen Eigenschaften auf den Markt kamen, war diese mediale Begrenzung aufgehoben (vgl. Starl 2009).
Der englische Wolkenforscher Ralph Abercromby konnte dann auf zwei zwischen 1885 und 1887 unternommenen Weltreisen mit Hilfe der Fotografie den Beweis erbringen, dass überall auf der Erde die Grundformen der Wolken identisch sind.

Die angestrebte internationale Standardisierung der Wolkenbeobachtung setzte voraus, dass alle Wetterstationen weltweit über einen „Wolkenatlas“ als Instrument zur Klassifizierung verfügten. So lange man Fotografien nicht drucktechnisch in den Atlanten reproduzieren konnte, war die Herstellung allerdings so teuer, dass man die Atlanten nur in einer beschränkten Anzahl auflegen konnte.

„Atlanten liefern den sich der Anschauung bedienenden Wissenschaften die Arbeitsobjekte. Der Atlas trainiert das Auge von Eingeweihten und Neulingen gleichermaßen darin, bestimmte Objekte als exemplarisch […] auszuwählen und sie auf eine bestimmte Weise zubetrachten […].“ (Daston/Galison 2002, S. 37)

Zwischen den wissenschaftlichen Zwecken eines Atlas und den medialen Eigenschaften der Fotografie besteht ein Spannungsverhältnis. Eine Fotografie hält den Zustand eines Objekts detailgetreu in einem gegebenen Moment fest. Wissenschaftliche Atlanten sollen dagegen das jeweils Exemplarische zeigen.

„Der Atlas zielt darauf ab, die Natur zu einem sicheren Gegenstand der Wissenschaft zu machen und die rohe Erfahrung – die zufällige und kontingente Erfahrung spezifischer Einzelobjekte – durch gefilterte Erfahrung zu ersetzen.“ (Daston/Galison 2002, S. 36)

Die Subjektivität, die man mit Hilfe der Fotografie vermeiden wollte, kehrte also bei der Auswahl „typischer Aufnahmen“ für einen Atlas zurück. Bei späteren Auflagen des Wolkenatlas wurde deshalb jede Aufnahme
„mit einer Erläuterung […] sowie mit einer schematischen Darstellung im selben Maßstab wie die Fotografie [versehen], um die wichtigsten Merkmale der Wolkengattung hervorzuheben.“ (Deutscher Wetterdienst 1990 S. XIII)

Wetterdienst

Da man zu Wettervorhersagen gelangen wollte, war der Aufbau eines verteilten Netzes von meteorologischen Stationen und der schnelle Austausch von Daten und Informationen notwendig, um ein Bild des Wetters über einem größeren Gebiet rekonstruieren zu können. Die Erstellung aktueller Wetterkarten war nur durch die telegrafische Übermittlung der Wetterdaten möglich. Dies setzte voraus, Wetterbeobachtungen in kompakter Form durch Ziffern zu beschreiben.

Ueber Wolkenaufnahmen

Literatur
Brandes, Heinrich Wilhelm [1820]: Beiträge zur Witterungskunde, Leipzig: Johann Ambrosius Barth
Daston, Lorraine; Galison, Peter 2002: Das Bild der Objektivität. In: Geimer, Peter: Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 29 – 99
Deutscher Wetterdienst 1990: Internationaler Wolkenatlas, 2. Auflage, Vorschriften und Betriebsunterlagen Nr. 12, Teil 1, Offenbach am Main (Selbstverlag)
Goethes Werke [1896]: Naturwissenschaftliche Schriften II. Abteilung, 12. Band, hrsg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachen. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger
Starl, Timm 2009: Eine kleine Geschichte der Wolkenfotografie, in: Ecker, Berthold; Karel, Johannes, Starl, Timm (Hrsg.)stark bewölkt. Flüchtige Erscheinungen des Himmels,Wien und New York: Springer, S. 22 – 41

 

Vom Lap Desk zum Laptop

Schreiben war schon früher nicht ausschließlich auf Wohnungen und Büros beschränkt. Seit dem 18. Jahrhundert führte man auf Reisen sein eigenes Schreibpult im Gepäck mit sich. Im Englischen sprach man von Lap Desks oder Writing Cabinets. Es handelte sich dabei um aufklappbare Holzkästen mit Fächern für Papier, Tinte, Schreibfedern, Federmesser, Siegellack und Streusand. Aufgeklappt erhielt man eine schräge Schreibunterlage. Lap Desks kamen seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts in England in Mode. Beliebt waren sie u. a. bei Offizieren. Berühmt wurde der nach Plänen von Thomas Jefferson gebaute Lap Desk, auf dem er 1776 in Philadelphia die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung schrieb.

Eine Animation im Digitalen Museum des Betthoven-Haus in Bonn zeigt den Aufbau von Beethovens Reiseschreibpult.

Abb. Antique Lap Desk (frühes 19. Jahrhundert) – http://en.wikipedia.org/wiki/File:Antique_lap_desk_interior_view.JPG

Lesekultur – DIE ZEIT entwarnt – Aber???

Lesekultur: Hurra, wir lesen noch! Auch im Zeitalter des Internets werden wir nicht zu Analphabeten. Im Gegenteil: Ob Romane, E-Mails oder Blogs – wohl noch nie wurde so viel gelesen wie heute.
DIE ZEIT, Nr. 30/22.07.2010

ABER, was würden die Verteidiger der Lesekultur aus den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von dieser Entwarnung halten?

Wo ist das gemeinsame Lesen unter der Feierabendlampe geblieben? (1956)
Aber zum Lesen braucht man Zeit und Bereitschaft jenen aus dem Innern kommenden Impuls, der unmittelbar zum Lesen treibt. Aber dieses ursprüngliche Bedürfnis des Lesens, das ein Kennzeichen eines gesunden Kulturlebens ist, nimmt immer mehr ab. Die Jugend kennt ja gar nicht mehr jenes einmal so selbstverständlich gewesene Bil­dungsleben, als der Bücherschrank noch eine ehrfürchtig empfundene Weihe ausstrahlte und die ganze Familie lesend oder gemeinsam dem Vorleser lauschend sich unter dem trauten Schein der Feierabendlampe zusammen­fand. So atmet die Jugend auch nicht mehr in jener Atmo­sphäre der Stille und des Einfachen, die so selbstverständ­lich zu dem verlorenen Bildungsleben gehörte, in der allein das sanfte Gesetz im Sinne Albert Stifters wirken kann und das in der Aussage des Dichters seine wirkende Ge­stalt findet. Man liest bestenfalls noch, um sich zu unter­halten, um sich von “den Nöten des Lebens”, vor seiner aufpeitschenden Betriebsamkeit in eine “milde Narkose” zu versetzen. Denn in der allgemeinen Hetzjagd verlor der Feierabend seinen bildenden Sinn, und man tauschte dafür die Gier nach Betrieb, nach Sensation um jeden Preis ein.
Erich Weißer: Die apädagogische Aufgabe des Jugendbuches im Massenzeitalter, in: Jugendschriften-Warte Nr. 10/1956
Abb.  DIE ZEIT  Nr. 52/1994, S. 1

War Micky Maus zersetzendes Werk erfolglos? (1959)
Vor uns liegt die Auseinandersetzung mit politischen und wirtschaftlichen Mächten. Wir werden unsere Existenz wohl nur sichern können, wenn wir mit unserer Leistung konkurrenzfähig bleiben wenn die Produkte unserer Arbeit sich den Ruf der Wertarbeit erhalten. Das wird nur möglich sein, wenn eine große Zahl leistungsfähiger Arbeiter (im weitesten Sinne) nachwächst. Wir brauchen nur zum Osten zu schauen, um zu erkennen, daß ein Volk von Bildanalphabeten wenig Chancen für die Zukunft hat.
Vor fünf Jahren haben die Comics ihr zersetzendes Werk in Deutschland begonnen. Der EHAPA Verlag weist eine zersetzende Wirkung der Micky Maus zurück und beschränkt sie auf die Horror Comics. Es gibt nicht nur eine Zersetzung der Moral sondern auch eine Zersetzung der geistigen Leistungsfähigkeit – und diese ist nicht ungefährlicher. Ueber den Anteil der Comics an der Verdummung der Jugend ist an dieser Stelle mehrfach geschrieben worden. Es genügen daher einige Schlagworte: Reizüberflutung, Verhinderung einer echten Lesefähigkeit, d. h. einem Wortwerk den gemeinten Sinn entnehmen, Verkümmern der eigenen Vorstellungskräfte, Anhäufung von nicht verwendbaren unsinnigen Fantastereien, Einbruch in die Familie – in das gemeinsame Lesen, Geschmacksverbildung durch kitschige Bilder….
A. Köhlert: Micky Maus, in: Jugendschriften-Warte H.12/1959

Siehe dazu auch in diesem Blog den Beitrag: Die Lehrer von heute – Comic-Leser von damals? (1955)

Abb. „Feierabendtisch“ – DIE ZEIT Nr.52/1994, S.1
Abb. „Jungen an den Mülltonnen“ – Aus einer Diareihe der Landesmedienstelle Niedersachsen (ca. 1955) mit Zitat aus dem Begleittext

Ein Sommerlochbeitrag zur Entschleunigung

1887 – KRITIK AM STILLEN LESEN

Während heute nur noch in wenigen Situationen „laut gelesen“ wird, war dies bis ins 19. Jahrhundert hinein die übliche Form des Lesens. Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts attackierte der einflussreiche Germanist Heinrich Rudolf Hildebrand* in seinem Buch „Vom deutschen Sprachunterricht in der Schule und von deutscher Erziehung und Bildung überhaupt“ das „stille Lesen“ oder „Augenlesen“ heftig:
„…dieß rasche Lesen, d.h. Durchjagen des Gedankens durch oder über eine Uebermenge von Einzelheiten, Begriffen, Vorstellungen, Gedankenverbindungen hin (um von den Empfindungen nicht zu reden), dieß jagende Lesen macht ein reines Auffassen so zu sagen mechanisch unmöglich, denn die Anschauung und Empfindung, die doch allein die wirkliche Betheiligung des Geistes und der Seele bedingen und darstellen, können nicht folgen, weil sie ein Verweilen brauchen, sie ziehen sich erlahmend zurück, verkriechen sich in eine Art Schlummerzustand; wer so list, ist wie Einer, der mit dem Schnellzug z.B. durch einen schönen Wald fährt und dabei eigentlich weder vom Walde einen Begriff bekommt noch auch die Bäume wirklich sieht, es verschwimmt ihm Alles, das Ganze wie das Einzelne in wesenlosen Schatten. Das rasche Augenlesen hilft nebst anderen Einflüssen der Zeit unser gesundes Empfinden und Denken zernagen, an dem doch aller Fortschritt hängt, alle Rettung aus den schweren Gefahren unsrer Zeit.  (Hildebrand 1887, S. 44 f.)

* Hildebrand (1824 – 1894) war Professor für Deutsche Sprache und Deutsche Literatur an der Leipziger Universität. Unter anderem arbeitete er seit 1852 am Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm mit, dessen Herausgabe er .nach dem Tod Jakob Grimms im Jahr 1863 übernahm.

Medienpädagogischer Blick auf „Die Anatomie des Dr. Tulp“

Das Gemälde „Die Anatomie des Dr. Tulp“ wurde um 1632 von Rembrandt fertig gestellt. Bei Dr. Tulp (1593 bis 1674) handelte es sich um einen Bürgermeister der Stadt Amsterdam, der gleichzeitig einer der bekanntesten Ärzte des 17. Jahunderts war. Wie sein großes Vorbild, der Anatom Andreas Vesalius, lässt er sich bei der Präparation eines Arms porträtieren. Rembrandt „zitiert“ in dem Gemälde den präperierten Arm aus einem Holzschnitt,  auf dem Andreas Vesalius zu sehen ist.

Einige der Teilnehmer an der anatomischen Vorlesung blicken über die Leiche hinweg ganz offensichtlich auf einen anatomischen Atlas. Damit liefert das Gemälde ein _Anschauungsbeispiel für die oftmals übersehene Bedeutung der Drucktechnik für die Verbreitung von Abbildungen.

Für die Entwicklung von Technik und Wissenschaft war es entscheidend, dass mit dem Aufkommen des Buchdrucks nicht nur Texte vervielfältigt werden konnten, sondern auch Bilder, Karten und Diagramme. Die Bedeutung der Tatsache, dass erst durch den Druck von Stichen die genaue Wiederholung bildhafter Aussagen möglich wird, tritt deutlicher hervor, wenn man sich vor Augen hält, dass schon in der Antike Gelehrte wie Plinius der Jüngere sehr wohl wussten, dass sich einerseits Blumen oder Blätter mit Worten nicht so beschreiben lassen, dass ein Leser sie in der Wirklichkeit sicher wieder erkennt und dass andererseits Zeichnungen beim Kopieren einer Handschrift viel schneller korrumpiert werden als der Text. Die „blickbildende“ und „blicknormierende“ Funktion von Drucktechniken wie Kupfer- und Holzstich zeigt sich u. a. in der Medizingeschichte. Aus der Entwicklung der Anatomie kann man lernen, dass sich das Körperinnere dem Blick nicht so klar strukturiert darstellt, wie es unseren durch Abbildungen in Biologiebüchern und Lexika normierten Vorstellungen erscheinen mag.
„… erst die Druckgraphik ermöglichte naturwissenschaftliche Beschreibung, die Kritik solcher Mitteilung und die schrittweise Annäherung der Darstellung an das Objekt. Der Druck von Zeichnungen auf dafür behandelten Holzblöcken, Kupferplatten oder Steinen ist nicht nur eine optische, sondern auch eine blickbildende Technik.“ (Duden 1991, S. 46)

Quellen:
http://www.wgsebald.de/anatomie.html
Duden, Barbara: Der Frauenleib als öffentlicher Ort: vom Missbrauch des Begriffs Leben, Hamburg und Zürich 1991
Wagner, Wolf-Rüdiger: Medienkompetenz revisited, kopaed München 2004, S. 116 f.

Abbildungen:
„Die Anatomie des Dr. Tulp“ – http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Anatomie_des_Dr._Tulp
„Andreas Vesalius“ – http://de.wikipedia.org/wiki/Andreas_Vesalius

Hilfreiche Anmerkungen zu Wikipedia

In der ZEIT vom 08.07.2010 findet sich ein Gespräch mit dem Historiker Peter Haber (http://www.hist.net/peter-haber) über Qualität und Nutzen von Wikipedia. Hier die zentralen Aussagen von Haber:

Vorteile der Internationalität: Man kann „ein Thema aus verschiedenen sprachregionalen Blickwinkeln betrachten. Mit wenigen Klicks lassen sich die deutsche, die französische und die englische Seite, je nach Sprachkenntnis auch andere Versionen, vergleichen.“ – „Generell gilt: Personen- und Ereignisartikel sind anfälliger für nationale Einfärbungen.“
Nachteile des kooperativen Schreibens: Wikipedia „eignet sich nicht besonders gut dafür, sich einen ersten Überblick über ein komplexes Thema zu verschaffen.“ (Im Gegensatz zum Faktensammeln benötigt man hier Fachwissen!)
Vorteile des kooperativen Schreibens: „In der Regel sind Einträge dann korrekt und von guter Qualität, wenn sie schon älter sind und viel an ihnen herumkorrigiert worden ist.“ (Empfehlung: Blick in die Metadaten, also Versionsgeschichte und Diskussionsseiten.)*
Je umstrittener, desto besser: „Gerade bei umstrittenen und sensiblen Themen treten … selten Verzerrungen auf.“

Was taugen die Geschichtsartikel der Online-Enzyklopädie Wikipedia? Ein Gespräch mit dem Historiker Peter Haber – http://www.zeit.de/2010/28/Wikipedia-Daten

* Diese Aussage bestätigt den Ansatz von Wikibu, eines Projekts der Pädagogischen Hochschule Bern
„Wikipedia-Artikel haben unterschiedliche Qualität. Versionsgeschichte, Diskussionsseiten etc. helfen aber, die Verlässlichkeit eines Artikels einzuschätzen. Der kostenlose Dienst Wikibu für die deutschsprachige Wikipedia bietet dabei Unterstützung. Wikibu analysiert die Artikel automatisch anhand mehrerer Kriterien und liefert Anhaltspunkte zur weiteren Überprüfung durch die Nutzenden der Wikipedia. Wikibu ist speziell für den Einsatz in den Schulen gedacht und soll die kompetente Nutzung der Wikipedia als Teil der Informationskompetenz fördern.“ – http://wikibu.ch/