1863 – Der elektrische Telegraph im Kriege

 „Die Industrie hat hier der Kriegskunst unter die Arme gegriffen.“ – Vom Kriegstheater zum Kriegsschauplatz

Seit den Revolutionskriegen sind die modernen Armeen zu kollossalen Massen herangewachsen; es ist nichts Ungewöhnliches mehr, dass 150,000 – 200,000 Mann am Tage einer Schlacht gemeinschaftlich in Aktion treten. Außerdem sind bei der Tragweite der Geschosse die gegenüberstehenden Truppen meist in großer Entfernung von einander zu bleiben und eine sehr ausgedehnte Schlachtlinie zu bilden genöthigt. Diese Umstände machen die Funktion des obersten Kommandierenden weit schwieriger, denn er kann nicht mehr mit einem Blick das Ensemble der Operationen und die Bewegungen jedes Truppentheils überschauen. Mündlichen Befehl an die äußersten Punkte der Feuerlinie zu überbringen erheischte oft Stunden, während welcher die Umstände sich vollständig berändern können, so daß zuletzt jeder Kommandant für sich eine Schlacht lieferte. Die Industrie hat hier der Kriegskunst unter die Arme gegriffen. Es wurden nämlich im Lager von Chalon Versuche mit dem elektrischen Telegraphen gemacht. Im Hauptquartier wurde ein Zentralbureau errichtet; durch Fourgon’s wurden darauf Drähte nach verschiedenen Punkten geführt, so daß der Oberkommandant mit seinen Unterkommandierenden korrespondieren konnte. Die Drähte, welche mit einem isolierenden Stoffe umgeben waren, liegen einfach auf dem Boden; die Versuche haben die Sache als praktisch erwiesen. Man kann sogar mit der Nadel Zeichnungen machen, welche die Befehle ergänzen. Diese Anwendung des elektrischen Telegraphen muß notwendigerweise zur Vermehrung der Zerstörungsmittel beitragen, welche die europäischen Nationen seit einiger Zeit so lebhaft beschäftigen und die Taktik vollständig umschaffen.

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Aus: Ueber Land und Meer. Allgemeine Illustrirte Zeitung, Nr.1/1863, Text: S. 14, Abb. S. 12