„[…], so können wir wohl kühn behaupten, daß der Briefverkehr viel entschiedener, als der Seifenconsum, wie Liebig, oder als der Eisenkonsum, wie Mischler meinten, der Gradmesser der Bildung und wirthschaftlichen Entwicklung sei. Aber er ist nicht nur der Ausfluß der Bildung und wirthschaftlichen Entwicklung, er ist auch einer der thätigsten Begründer. Daher fördert Alles, was den Briefverkehr erleichtert, auch die Bildung und die wirthschaftliche Wohlfahrt in nicht hoch genug zu schätzender Weise.“ (Herrmann 1872, S. 74f.)
Die Postkarte wurde 1869 in Österreich-Ungarn eingeführt. Preußen und die anderen deutsche Staaten folgten 1870. Zur Einführung der Postkarte in Österreich-Ungarn trugen entscheidend die publizistischen Aktivitäten von Emanuel Herrmann, Professor für Nationalökonomie und Enzyklopädie an der Militärakademie in Wiener Neustadt, bei. Er selbst betrachtete sich dabei nicht als alleiniger Erfinder“ der Postkarte, sondern verwies darauf, dass der königlichen preußische Delegierte Heinrich Stephan „ein solches Projekt“ schon 1865 auf der Postkonferenz in Karlsruhe vorgestellt hatte. (Herrmann 1872, S. 87)
Die Einführung der Postkarten kam einem Streben nach Rationalisierung und Modernität entgegen. So wirbt Hermann im Januar 1869 im Abendblatt der Neuen Freien Presse mit volkswirtschaftlichen Argumenten für diese „neue Art der Correspondenz mittelst der Post“.
„Wohl wenige berechnen, wie hoch eigentlich dem Einzelnen die Kosten des Briefeschreibens kommen. Man möge uns nicht der Kleinlichkeit zeihen, wenn wir hier einen Überschlag über die Kosten von hundert Briefen geben, welche ein Gebildeter oder ein Geschäftsmann gewiß jährlich schreibt.“ (Herrmann 1872, S. 75)
In seinen Berechnungen geht Herrmann davon aus, dass sich die Kosten für die hundert Millionen Briefe, die während eines Jahres in Österreich geschrieben wurden, auf nahezu zwanzig Millionen Gulden belaufen. Ein Drittel dieser Briefe entfalle auf Benachrichtigungen, deren Inhalt „selten etwas Anderes als die gewöhnlichsten Notizen oder Gratulationen u.s.w. enthält“. Für diese einfachen Benachrichtungen sei weder ein Briefumschlag noch ein Siegel erforderlich. Hier könne man mit der Postkarte eine „Art Posttelegramm“ schaffen und so einen erheblichen Teil der Kosten einsparen, ohne den Briefverkehr zu beeinträchtigen.
„Wie groß wäre aber die Ersparniß an Briefpapier, Couverten, Schreib- und Lese-Arbeit, wie groß wäre die Zeitersparniß bei einer solchen Einrichtung! […] Dies alles bliebe weg, man könnte sich, wie man ja schon lange bei dem Telegramme zu thun gewohnt ist, auf die unumgänglich nothwendigen Ausdücke beschränken. Wir besäßen in Bälde eine eigene Telegramm-Briefsprache, […]! (Herrmann 1872, S. 76)
Ähnliche Überlegungen finden sich bereits in der Denkschrift Heinrich Stephans, die dieser 1865 der Postkonferenz in Karlsruhe vorgelegt hatte.
„Weitläufigkeiten treffen den Absender, wie den Empfänger. In unseren Tagen hat das Telegramm bereits eine Gattung von Kurzbriefen geschaffen. Die jetzige Briefform gewährt für eine erhebliche Anzahl von Mittheilungen nicht die genügende Einfachheit und Kürze. Die Einfachheit nicht, weil Auswahl und Falten des Briefbogens, Anwendung des Couverts, des Verschlusses, Aufkleben der Marke u.s.w. Umständlichkeiten verursachen; und die Kürze nicht, weil, wenn einmal ein förmlicher Brief geschrieben wird, die Convenienz erheischt, sich nicht auf die nackte Mittheilung zu beschränken. Die Weitläufigkeiten treffen den Absender, wie den Empfänger. In unseren Tagen hat das Telegramm bereits eine Gattung von Kurzbriefen geschaffen. Nicht selten telegraphirt man, um die Umständlichkeit des Schreibens und Anfertigens eines Briefes zu ersparen. Auch die Uebersendung einer Visitenkarte u.s.w. ersetzt für verschiedenen Gelegenheiten einen förmlichen. Brief.“ (Heinrich Stephan 1865 – zitiert nach Herrmann 1872, S. 83)
Bei der Einführung der Postkarte musste eine Reihe von Entscheidungen getroffen werden. Leitender Gesichtspunkt war dabei, „die Manipulation der Postbeamten hinsichtlich der Postkarten so einfach und gleichmäßig als möglich zu machen“. (Herrmann 1872, S. 79) Die gesamte Gestaltung der Postkarte erfolgte unter diesem Gesichtspunkt. Dazu zählten die Wahl eines „möglichst kleinen und für den Postbeamten handsamen Formats“, die Vorgabe von Feldern für die Angaben über Empfänger und Absender sowie ein fester Platz für das eingedruckte Postwertzeichen, um das Abstempeln zu erleichtern. Da dies zu einem unüberschaubaren Arbeitsaufwand geführt hätte, verzichtete man von vornherein darauf – in Anlehnung an das Telegramm – das Porto nach Umfang der Mitteilung zu staffeln bzw. die Länge der Mitteilung zu begrenzen.
„Würde man dem correspondirenden Publicum überlassen, die Größe, Stärke, Farbe, Zusammenlegung und Adressierung der Postkarte zu bestimmen, so würde der inviduelle Geschmack und die zufällige Lage jedes Einzelnen gar bald eine solche Mannigfaltigkeit von Formaten, Stärken und Faltearten, von Aufschriften und Nenutzungsweisen erzeugen, daß die Manipulation im Postdienste dadurch erschwert würde.“ (Herrmann 1872, S. 79)
Die Postkarte mit ihrer ungewohnten Form der „offenen Mitteilung“ stieß anfangs durchaus auf Vorbehalte. In einer Anmerkung auf der Rückseite der Postkarte lehnte die Post jegliche Verantwortung für den Inhalt der Mitteilung ab, da man sich bewusst war, dass eine durchgehende Kontrolle der Inhalte nicht möglich sein würde.
„Schließlich sei hier noch mit wenigen erläuternden Worten jener Bestimmung der obigen Verordnung gedacht, wonach die Karten dann von der Beförderung auszuschließen sind, wenn wahrgenommen wird, daß hiermit Unanständigkeiten, Ehrenbeleidungen oder sonst strafbare Handlungen beabsichtigt werden. Diese Bestimmung ist ein nothwendiges Correktiv für jene Fälle, wo die Karten zu injuriösen oder unsittlichen Mittheilungen mißbraucht werden wollen, die eben, weil sie offen durch die Hände der Postbediensteten laufen, für den Adressaten sehr verletzend sind und häufig zu Collisionen mit den bestellenden Individuen Anlaß geben würden.“ (Herrmann S. 88 f.)
Literatur
Herrmann, Emanuel: Drittes Bild. Die Correspondenz-Karte, in: ders.: Miniaturbilder aus dem Gebiete der Wirthschaft, Verlag von Louis Nebert: Halle a. S. 1872, S. 74 – 133