Medialitätsbewusstsein (6): Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken

Die Entwicklung der Kulturtechnik „Schreiben“ kann nicht losgelöst von der Entwicklung physikalischer Artefakte, der Geräte und technischen Systeme, gesehen werden, selbst wenn uns dies nicht bewusst ist, weil wir das Schreiben „tief verinnerlicht“ haben. (Vgl. Ong 1982, S. 80)

Sönnecken’s neue Currentschriftfeder – F. Sönnecken in Bonn, dessen Rundschriftfeder Currentschreibfederschnell beliebt geworden ist, hat nunmehr, auf ähnlichen Principien fußend, eine Currentschriftfeder hergestellt, welche vornehmlich bezweckt, das wenn auch geringe Andrücken, welches bei den gewöhnlichen Federn nothwendigerweise stattfinden muß und einen Hauptgrund zur raschen Ermüdung, resp. zur Verminderung der Flüchtigkeit des Schreibens bildet, völlig unnöthig zu machen und den Schreiber zur größtmöglichen Ausdauer und raschen Niederschrift seiner Gedanken zu befähigen. In dem mittleren Theil besitzt diese Feder ein längliches Tintenbecken zur Fassung von einer größern Tintenmenge und zur Verhütung des Abtropfens; die Spitze ist nur wenig elastisch, kurz abgeschnitten und so abgerundet, daß keine scharfe Ecke bleibt und die Spitzen auch auf rauhem Papier nicht kratzen. […] Wir haben nach Prüfung der Sönnecken’schen Feder insbesondere die Feder mit schrägen Spitzen als sehr zweckmäßig gefunden, indem dieselbe auch das flüchtigste Schreiben leicht und ohne Anstoß gestattet und einen stets gleichbleibenden kräftigen Schriftzug liefert; durch die Vermeidung des Aufdrückens wird sie dem Vielschreiber zweifellos sehr angenehm, und es mag etwas wahres daran sein, wenn der Erfinder behauptet, sie bringe alle die Störungen in Wegfall, die so oft aus Widerspenstigkeit der Feder beim Schreiben entstehen und den Gedankenfluß hemmen, sie sei also so recht dazu angethan, den schnellen Gedanken möglichst leicht uns schnell wiederzugeben. (Illustrirte Zeitung Nr. 1789 vom 13.10. 1877, S. 296)

Literatur
Ong: Walter J. [1982]: Orality and Literacy. The Technologizing of the Word.
Routledge: London und New York.

Zur Wiederkehr des Schreibens im Geschriebenen – Von der Tontafel zur Harddisk (Neue Zürcher Zeitung vom 19.10.2007)
Der Kugelschreiber als Ergebnis einer evolutionären Schreibgeräte-Verdrängung (Spiegel online 29.09.2016)

 

 

Amtliche Tintenprüfung

 Zentralblatt für das gesamte Unterrichtsesen in Preußen
Betrifft die Vergänglichkeit gewisser Schreibtinten – 1879
Im Band 5 von Meyers Konversations-Lexikon aus dem Jahre 1875 heißt es unter dem Stichwort „Dinte“, „das Problem, eine Schrift in jeder Weise vor Zerstörung zu schützen, [scheint] noch nicht vollkommen gelöst zu sein und wird wahrscheinlich auch nicht gelöst werden, wenn man nicht neben einer besondern D. ein zu derselben  passendes Papier von bestimmter Zusammensetzung anwendet.“ (S. 484)
In einem Bericht der Königlichen technischen Deputation für Gewerbe aus dem Jahr 1879 werden die Behörden auf „die größere und geringere Verlöschbarkeit und Haltbarkeit der Tinten“ aufmerksam gemacht und darauf hingewiesen werden, daß zur Herstellung von dokumentarischen Schriftstücken eine Gallustinte das geeignete Material ist, die Anilintinten für diesen Zweck dagegen unzulässig erscheinen.“

Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen 1879, S. 412
Das Dintenfaß – 1843

Dabei ist auch das Dintenfaß nicht unwichtig, dessen Stoff und Emil Drescher_ Bemerkungen über die Stahlfeder und ihren Gebrauch, Cassel 1843, S. 8Gestalt viel Einfluß auf die Dinte ausübt. Es ist nicht gleichgültig, ob es von Holz, Stein, Metall oder Glas ist. In Holz vertrocknet die Dinte sehr bald zu starrem Bodensatze oder verunreinigt durch Ablösen der Verpichung; in Stein schimmelt, in Metall oxydirt sie bald.Prorzellan. und Glasbehälter sich die Besten. Man wähle von diesen solche, die eine verengte Oeffnung haben, um das Verdampfen der Dinte zu beschränken und verschließe sie immer gehörig ausser dem Gebrauche.

Emil Drescher: Bemerkungen über die Stahlfeder und ihren Gebrauch, Cassel 1843, S. 8
Neuen Grundsätzen für die amtliche Tintenprüfung – 1912

Die vom königlichen Staatsministerium beschlossenen neuen Grundsätzen für die amtliche Tintenprüfung werden u. a. im „Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen“ veröffentlicht, da nur solche „Urkunden- und Eisengallustinten zum amtlichen Gebrauche verwendet werden [dürfen], deren Kennmarke bei dem Königlichen Materialprüfungsamt in Groß-Lichterfeld West eingetragen ist.“
Nach den neuen Grundsätzen für die amtliche Tintenprüfung gilt:
„Urkundentinte ist eine Eisengallustinte, die nach 8tägigem Trocknen an der Luft tiefdunkle Schrift liefert. Sie muß mindestens 27 g wasserfreie Gerb- und Gallussäure und 4 g Eisen (auf Metall berechnet) im Liter enthalten. Anderseits darf der Eisengehalt bei Gegenwart von 27 g wasserfreier Gerb- und Gallussäure 6 g im Liter nicht übersteigen. […] Die Tinte muß leicht aus der Feder fließen und darf selbst unmittelbar nach dem Trocknen nicht klebrig sein.“

Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen“ 1912, S. 544 f.

Füllhaltertinte

Eisengallustinte, Nachfüllbehälter, 0,5 Liter, Pelikan, GüntherWagner, ca. 1950er Jahre mit Aufbewahrungsbehälter (Foto: Richard Huber)

Schreibwerkzeuge – Die Stahlfeder

 „Die Entwicklung von Schreibtechniken ist in ein Netz technischer, gesellschaftlicher und kultureller Entwicklungen eingebunden. Am Gänsekiel, der von jedem Benutzer ohne technischen Aufwand präpariert und individuell zugeschnitten werden kann, ist der Bezug zu einer handwerklich und agrarisch geprägten Gesellschaft genauso augenfällig wie der Zusammenhang zwischen dem Aufkommen der Stahlfeder einerseits sowie der Industrialisierung und Massenproduktion andererseits.“ (nach Louis Mumford: Technics and Civilization, New York 1963, S. 110)
 A Steel Pen Exhibit At The Fair (1893)

Stahlfeder

Wenn man sich die Ausstellung der Esterbrook Steel Pen Company auf der World`s Columbian Exposition ansieht, begreift man sofort, dass selbst ein so kleiner Gegenstand wie eine einfache Stahlfeder zur Grundlage einer Industrie, der beachtliche Bedeutung zukommt, werden kann. Die Firma wurde 1860 gegründet. In den Fabrikanlagen in Camden, N. J., werden über 150 verschiedene Sorten von Esterbrooks Federn hergestellt, die ihren Markt in allen Teilen der Welt finden. […] Es handelt sich um eine Produktion, die nicht im kleinen Maßstab betrieben werden kann, da der Herstellungsprozeß aufwendig und kompliziert ist. Jede Feder wird vier bis fünf Mal hoher Hitze ausgesetzt und läuft durch vierzig bis fünfzig Hände bevor sie fertig gestellt ist. Die Qualität der Esterbrook Federn ist anerkannten Qualität. Dafür spricht ihre weltweite Popularität. Es ist eines Wunder der modernen Herstellungsprozesse, dass dabei die Kosten für diese heutzutage unverzichtbaren Gegenstände auf ein Minimum gesenkt wurden.

Scientific American 16.11.1893, S. 181

„Die World’s Columbian Exposition 1983 (auch The Chicago World’s Fair) war eine vom 1. Mai bis zum 30. Oktober 1893 in Chicago veranstaltete Weltausstellung, die neunzehnte ihrer Art. Die Ausstellung fand zum vierhundersten Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus statt.“

Zur Massenproduktion

„Seit 1830 wurden in der englischen Stahlfederfabrikation Schraubpressen benutzt, die denen ähnelten, die in der Knopfmacherei schon längere Zeit verwendet wurden. Mit diesen Stanzmaschinen konnten aus den möglichst dünn ausgewalzten Stahlbändern massenweise Stahlfedern (von einer Schnellpresse bis zu 28000 pro Tag ausgeschnitten werden.“ (1)

„Soll die Stahlfeder in der Volksschule die Herrschaft haben, oder die Gänsefeder?“(2)

In Kreisen der Lehrerschaft wurde über die Frage Stahlfeder oder Gänsefeder – man könnte sagen, wie immer bei Innovationen – kontrovers und sehr grundsätzlich diskutiert. Die Pro-Argumente beziehen sich auf die Zeit- und Kostenersparnis bei der Verwendung der gebrauchsfertigen und haltbaren Stahlfedern im Vergleich zu den den bis dahin verwendeten Gänsekielen, bei denen das Zuschneiden und Korrigieren eine gewisse Fertigkeit und mit Blick auf die Schülerzahlen einen hohen Zeitaufwand seitens der Lehrer erforderte.

Die Contra-Argumente beziehen sich auf Schwierigkeiten, mit der Stahlfeder „rasch und geläufig“ zu schreiben, auf die Verschlechterung der der Handschrift , weil man „zu stark drücken muß“, sowie auf die gesundheitlichen Schäden für das Kind durch die Benutzung der Stahlfeder.(3)

Gegen das Argument, das Schreiben mit der Stahlfeder führe zu einer schlechten Handschrift, findet man den Verweis auf die außerschulische Realität: „Ferner soll durch die Stahlfeder die Handschrift steif und ungefällig werden. Diese Behauptung widerspricht der Erfahrung geradezu. Man betrachte die Schriftzüge der auf den Komptoirs großer Handelshäuser arbeitenden jungen Leute! Und doch bedient sich selten Jemand eines andern Schreibmittels, als der Stahlfeder.“(4)

Bezogen auf die gesundheitlichen Schäden durch die Benutzung der Stahlfeder sprechen die Kritiker vor allem von Krampferscheinung und Nervenschäden: „Die Nachtheile, welche durch den Gebrauch einer Stahlfeder überhaupt, und einer schlechten insbesondere, für ihre Kinder entstehen, sind den Eltern mehrentheils unbekannt, und haben sich auch erst durch den Gebrauch und sorgfältige Beobachtung herausgestellt. Eine schwere Hand, Zittern in den Fingern, krampfhaftes Zusammenziehen des Daumes (Daumenkrampf) sind leider gewöhnliche Folgen des Gebrauchs der Stahlfedern beim ersten Schreibunterrricht. Rechnet man nun noch hinzu, wie sehr sich die Kinder dadurch verwöhnen und nachmals klagen, daß sie mit einer Gänsefeder gar nicht schreiben können, so sollte man billig in den Schulen beim Unterrichte den Gebrauch der Stahlfedern nicht gestatten, […]. Leider aber wird der schädliche Gebrauch von manchen Lehrern nur zu gern befördert, weil sie dadurch dem lästigen Federschneiden und Corrigiren derselben entgehen.“ (5)

Außerdem wird auch über Vergiftungssymptome diskutiert. Hierzu führt ein Befürworter der Stahlfedernutzung an: „Ich stelle nicht in Abrede, daß sich durch Berührung der Stahlfeder mit der Tinte Grünspan, oder andere Gifte erzeugen. Was schadet das aber? Kein verständiger Lehrer wird doch wohl die Unsitte dulden, daß die Kinder mit ihrem Munde (es soll schon vorgekommen sein) die Feder reinigen? So wären auch Gänsefeder nachtheilig; denn Tinte kann schwerlich der Gesundheit zuträglich sein.“ (6)

Der pädagogische Kompromiss zwischen Gegner und Befürwortern der Stahlfeder im Unterricht lief auf die Festlegung der Altersstufe hinaus, in der der Übergang vom Griffel zur Gänsefeder und dann zur Stahlfeder vertretbar sei.

Zitate
(1) Elisabeth Vaupel: Vom Gänsekiel zur Stahlfeder, S. 147(2) Die Stahlfeder in der Schule, in: Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung Nr. 52/1856, S. 377

(3) Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung Nr. 35/1856, S. 253

(4) Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung Nr. 52/1856, S. 377

(5) Ueber den Gebrauch der Stahlfedern beim Schreibunterricht, in: Schulblatt für die Provinz Brandenburg H.4/1845, S. 772 f.

(6) Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung Nr. 35/1856, S. 254