Je genauer man konkrete Praktiken der Mediennutzung und die intendierte Nutzung in den Blick nimmt, desto klarer zeigt sich im Vergleich konkurrierender Kulturtechniken ihr jeweiliges mediales Potential.
Internationale Wolkennomenklatur und Medialität
Wolken können mit „unbewaffnetem Auge“ beobachtet werden, sind aber flüchtige Gebilde, die ihre Form und Farbe ständige verändern.
Um eine solche Verständigung über das Phänomen Wolken zu ermöglichen, veröffentlichte 1803 der britische Apotheker und Naturforscher Luke Howard einen Vorschlag für eine Klassifikation der unterschiedlichen Wolkenformationen. Für die drei von ihm identifizierten Grundtypen führte er die bis heute üblichen Begriffe Cirrus, Cumulus und Stratus ein. Auch wenn er dieses Grundschema durch die Kombination dieser Begriffe um vier weitere Wolkentypen erweiterte, ergaben sich daraus keine Probleme bei der Darstellung eines derart übersichtlichen Klassifikationsschemas. Goethe widmete Luke Howard zum „Ehrengedächtniß“ ein Gedicht. Darin heißt es:
Die Welt ist so groß und breit,
Der Himmel auch so hehr und weit,
Ich muß das alles mit Augen fassen,
Will sich aber nicht recht denken lassen.
Dich im Unendlichen zu finden,
Mußt unterscheiden und dann verbinden;
Drum danket mein beflügelt Lied
Dem Mann der Wolken unterschied. (Goethe Werke 1896, S. 39)
Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein hielt man jedoch eine exakte und allgemein gültige Klassifikation von Wolken für nicht möglich, da sprachliche Beschreibungen keine genauen und eindeutigen Vorstellungen von komplexen Wolkenformationen liefern können.
Auch Zeichnungen können aufgrund der komplexen und sich schnell verändernden Formen keine eindeutigen Bilder liefern.
In der Frühzeit der Fotografie waren die erforderlichen Belichtungszeiten für das flüchtige Phänomen Wolken zu lang und die fotosensiblen Schichten überempfindlich für Blau, so dass sich Wolken – bei den notwendigen kurzen Belichtungs-zeiten – vor dem Himmel nicht genügend abhoben.
Erst nachdem seit 1870 orthochromatische Platten mit weitgehend farbwertrichtigen Eigenschaften auf den Markt kamen, war diese mediale Begrenzung aufgehoben (vgl. Starl 2009).
Der englische Wolkenforscher Ralph Abercromby konnte dann auf zwei zwischen 1885 und 1887 unternommenen Weltreisen mit Hilfe der Fotografie den Beweis erbringen, dass überall auf der Erde die Grundformen der Wolken identisch sind.
Die angestrebte internationale Standardisierung der Wolkenbeobachtung setzte voraus, dass alle Wetterstationen weltweit über einen „Wolkenatlas“ als Instrument zur Klassifizierung verfügten. So lange man Fotografien nicht drucktechnisch in den Atlanten reproduzieren konnte, war die Herstellung allerdings so teuer, dass man die Atlanten nur in einer beschränkten Anzahl auflegen konnte.
„Atlanten liefern den sich der Anschauung bedienenden Wissenschaften die Arbeitsobjekte. Der Atlas trainiert das Auge von Eingeweihten und Neulingen gleichermaßen darin, bestimmte Objekte als exemplarisch […] auszuwählen und sie auf eine bestimmte Weise zubetrachten […].“ (Daston/Galison 2002, S. 37)
Zwischen den wissenschaftlichen Zwecken eines Atlas und den medialen Eigenschaften der Fotografie besteht ein Spannungsverhältnis. Eine Fotografie hält den Zustand eines Objekts detailgetreu in einem gegebenen Moment fest. Wissenschaftliche Atlanten sollen dagegen das jeweils Exemplarische zeigen.
„Der Atlas zielt darauf ab, die Natur zu einem sicheren Gegenstand der Wissenschaft zu machen und die rohe Erfahrung – die zufällige und kontingente Erfahrung spezifischer Einzelobjekte – durch gefilterte Erfahrung zu ersetzen.“ (Daston/Galison 2002, S. 36)
Die Subjektivität, die man mit Hilfe der Fotografie vermeiden wollte, kehrte also bei der Auswahl „typischer Aufnahmen“ für einen Atlas zurück. Bei späteren Auflagen des Wolkenatlas wurde deshalb jede Aufnahme
„mit einer Erläuterung […] sowie mit einer schematischen Darstellung im selben Maßstab wie die Fotografie [versehen], um die wichtigsten Merkmale der Wolkengattung hervorzuheben.“ (Deutscher Wetterdienst 1990 S. XIII)
Da man zu Wettervorhersagen gelangen wollte, war der Aufbau eines verteilten Netzes von meteorologischen Stationen und der schnelle Austausch von Daten und Informationen notwendig, um ein Bild des Wetters über einem größeren Gebiet rekonstruieren zu können. Die Erstellung aktueller Wetterkarten war nur durch die telegrafische Übermittlung der Wetterdaten möglich. Dies setzte voraus, Wetterbeobachtungen in kompakter Form durch Ziffern zu beschreiben.
Ueber Wolkenaufnahmen
Literatur
Brandes, Heinrich Wilhelm [1820]: Beiträge zur Witterungskunde, Leipzig: Johann Ambrosius Barth
Daston, Lorraine; Galison, Peter 2002: Das Bild der Objektivität. In: Geimer, Peter: Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 29 – 99
Deutscher Wetterdienst 1990: Internationaler Wolkenatlas, 2. Auflage, Vorschriften und Betriebsunterlagen Nr. 12, Teil 1, Offenbach am Main (Selbstverlag)
Goethes Werke [1896]: Naturwissenschaftliche Schriften II. Abteilung, 12. Band, hrsg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachen. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger
Starl, Timm 2009: Eine kleine Geschichte der Wolkenfotografie, in: Ecker, Berthold; Karel, Johannes, Starl, Timm (Hrsg.)stark bewölkt. Flüchtige Erscheinungen des Himmels,Wien und New York: Springer, S. 22 – 41