Das Fadenkreuz in der (Medien)Geschichte

Karte mit 17 Fadenkreuzen
Karte mit 17 Fadenkreuzen (Homepage von Sarah Palin)

Strichkreuzplatte
Strichkreuzplatte (Fadenkreuz) für Zielfernrohre

Nach dem Attentat auf die demokratische Kongreßabgeordnete Gabrielle Giffords ist die Rede davon, dass Sarah Palin und ihre aggressive Rhetorik  eine moralische Mitschuld an der Vergiftung des politischen Klimas tragen. Dabei wurde u. a. auf die – nicht mehr im Netz stehende –  Seite ihrer Homepage verwiesen, auf der Wahlkreise von demokratischen Abgeordneten, die für die Gesundheitsreform gestimmt hatten, mit einem Fadenkreuz gekennzeichnet waren (siehe oben). Ihre Pressesprecherin erklärte demgegenüber, es habe sich hier gar nicht um das Fadenkreuze eines Zielfernrohrs gehandelt: „Die Fadenkreuze seien vielmehr Symbole aus der Vermessungstechnik.“ (Reymer Klüver: Die Stunde der Maulhelden, in: Süddeutsche Zeitung 11.01.2011, S. 2)

Erst durch das Fadenkreuz wird das Fernrohr zum Meßinstrument
Angesichts der ingesamt ausgesprochenen aggressiven Stimmungsmache ist dieser Entlastungsversuch zwar dreist, die Aussage als solche ist jedoch nicht falsch. 1610 veröffentlichte Galilei unter dem Titel „Sidereus Nuncius“ eine wissenschaftliche Abhandlung, die auf Beobachtungen beruhte, die er mit Hilfe des kurze Zeit zuvor in Holland erfundenen Fernrohrs durchgeführt hatte. Er beschrieb darin die Entdeckung der Jupitermonde. Doch für die Astronomie der damaligen Zeit hatte das Fernrohr erst einmal keine herausgehobene praktische Bedeutung, denn bei der Astronomie handelte es sich um eine „winkelmessende Wissenschaft“ [Hamel 2010, S. 17].

[…] es gab nur eine Aufgabe für die Astronomie, nämlich die Örter der Sterne und Planeten mit möglichster Genauigkeit zu messen und mathematische Verfahren zu ihrer Berechnung abzuleiten. Diese benötigte man zur Erstellung von Horoskopen – wir sind ja gedanklich im 16. und 17. Jahrhundert -, für die Präzisierung des Kalenders, dann für die Zeichnung von Landkarten und etwas später für die Navigation auf See. [Hamel 2010, S. 23]

Zum Messinstrument wurde das Fernrohr erst durch das Fadenkreuz oder die La Nature 1886 S.116Strichplatte, mit denenWinkel- bzw. Streckenmessungen möglich wurden. Das Keplersche Fernrohr hatte noch kein Fadenkreuz. Je nach Quelle wird die Erfindung des Fadenkreuzes unterschiedlichen Personen zugeschrieben. Als Zeitpunkt für die Einführung des Fadenkreuzes wird weitgehend übereinstimmend die Mitte des 17. Jahrhunderts angenommen.

„Seitdem Morin und Gascoigne (freilich erst 25 bis 30 Jahre nach Erfindung des Fernrohrs) optische Vorrichtungen mit Meßinstrumenten verbanden, haben feinere Bestimmungen der Ortsveränderung in den Gestirnen erreicht werden können. Auf diesem Wege ist es möglich geworden mit größter Schärfe die jedesmalige Position eines Weltkörpers, die Aberrations-Ellipsen der Fixsterne und ihre Parallaxen, die gegenseitigen Abstände der Doppelsterne von wenigen Zehenttheilen einer Bogen-Secunde zu messen.“ (Humboldt 1850, S. 76)

Das englische Wort „crosshair“ für Fadenkreuz verweist darauf, dass ursprünglich für die Fadenkreuze Fäden aus Spinnennetzen verwendet wurden, weil sie dünn und  widerstandsfähig genug waren.

Die in der Folgezeit entwickelten astronomische Instrumente arbeiten unter Einbeziehung des Fernrohrs mit Linsen- und Spiegelsystemen, um Phänomene sichtbar zu machen, die sich dem menschlichen Auge entziehen, und gleichzeitig mit Winkelmessgeräten, um Größe, Anordnungen, Bewegungen und Stand der Gestirne zueinander zu messen, also um zu Erkenntnissen zu gelangen, die über bloße Beobachtungen nicht zu erzielen sind.

Literatur
Hamel, Jürgen [2010]: Kepler, Galilei, das Fernrohr und die Folgen. In: Gaulke, Karsten & Hamel, Jürgen Kepler (Hrsg.): Galilei, das Fernrohr und die Folgen. Acta Historica Astronomiae Vol. 40, Frankfurt am Main: Verlag Harri Deutsch 2010, S. 9 – 34
Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 3. Stuttgart u. a: J. G. Cotta’scher Verlag., 1850

Abb. Gaston Tissandier: Les Fils Micrométrique des Lunettes Astronomiques, in: La Nature 1886, S. 116

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