Schreibwerkzeuge – Die Stahlfeder

 „Die Entwicklung von Schreibtechniken ist in ein Netz technischer, gesellschaftlicher und kultureller Entwicklungen eingebunden. Am Gänsekiel, der von jedem Benutzer ohne technischen Aufwand präpariert und individuell zugeschnitten werden kann, ist der Bezug zu einer handwerklich und agrarisch geprägten Gesellschaft genauso augenfällig wie der Zusammenhang zwischen dem Aufkommen der Stahlfeder einerseits sowie der Industrialisierung und Massenproduktion andererseits.“ (nach Louis Mumford: Technics and Civilization, New York 1963, S. 110)
 A Steel Pen Exhibit At The Fair (1893)

Stahlfeder

Wenn man sich die Ausstellung der Esterbrook Steel Pen Company auf der World`s Columbian Exposition ansieht, begreift man sofort, dass selbst ein so kleiner Gegenstand wie eine einfache Stahlfeder zur Grundlage einer Industrie, der beachtliche Bedeutung zukommt, werden kann. Die Firma wurde 1860 gegründet. In den Fabrikanlagen in Camden, N. J., werden über 150 verschiedene Sorten von Esterbrooks Federn hergestellt, die ihren Markt in allen Teilen der Welt finden. […] Es handelt sich um eine Produktion, die nicht im kleinen Maßstab betrieben werden kann, da der Herstellungsprozeß aufwendig und kompliziert ist. Jede Feder wird vier bis fünf Mal hoher Hitze ausgesetzt und läuft durch vierzig bis fünfzig Hände bevor sie fertig gestellt ist. Die Qualität der Esterbrook Federn ist anerkannten Qualität. Dafür spricht ihre weltweite Popularität. Es ist eines Wunder der modernen Herstellungsprozesse, dass dabei die Kosten für diese heutzutage unverzichtbaren Gegenstände auf ein Minimum gesenkt wurden.

Scientific American 16.11.1893, S. 181

„Die World’s Columbian Exposition 1983 (auch The Chicago World’s Fair) war eine vom 1. Mai bis zum 30. Oktober 1893 in Chicago veranstaltete Weltausstellung, die neunzehnte ihrer Art. Die Ausstellung fand zum vierhundersten Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus statt.“

Zur Massenproduktion

„Seit 1830 wurden in der englischen Stahlfederfabrikation Schraubpressen benutzt, die denen ähnelten, die in der Knopfmacherei schon längere Zeit verwendet wurden. Mit diesen Stanzmaschinen konnten aus den möglichst dünn ausgewalzten Stahlbändern massenweise Stahlfedern (von einer Schnellpresse bis zu 28000 pro Tag ausgeschnitten werden.“ (1)

„Soll die Stahlfeder in der Volksschule die Herrschaft haben, oder die Gänsefeder?“(2)

In Kreisen der Lehrerschaft wurde über die Frage Stahlfeder oder Gänsefeder – man könnte sagen, wie immer bei Innovationen – kontrovers und sehr grundsätzlich diskutiert. Die Pro-Argumente beziehen sich auf die Zeit- und Kostenersparnis bei der Verwendung der gebrauchsfertigen und haltbaren Stahlfedern im Vergleich zu den den bis dahin verwendeten Gänsekielen, bei denen das Zuschneiden und Korrigieren eine gewisse Fertigkeit und mit Blick auf die Schülerzahlen einen hohen Zeitaufwand seitens der Lehrer erforderte.

Die Contra-Argumente beziehen sich auf Schwierigkeiten, mit der Stahlfeder „rasch und geläufig“ zu schreiben, auf die Verschlechterung der der Handschrift , weil man „zu stark drücken muß“, sowie auf die gesundheitlichen Schäden für das Kind durch die Benutzung der Stahlfeder.(3)

Gegen das Argument, das Schreiben mit der Stahlfeder führe zu einer schlechten Handschrift, findet man den Verweis auf die außerschulische Realität: „Ferner soll durch die Stahlfeder die Handschrift steif und ungefällig werden. Diese Behauptung widerspricht der Erfahrung geradezu. Man betrachte die Schriftzüge der auf den Komptoirs großer Handelshäuser arbeitenden jungen Leute! Und doch bedient sich selten Jemand eines andern Schreibmittels, als der Stahlfeder.“(4)

Bezogen auf die gesundheitlichen Schäden durch die Benutzung der Stahlfeder sprechen die Kritiker vor allem von Krampferscheinung und Nervenschäden: „Die Nachtheile, welche durch den Gebrauch einer Stahlfeder überhaupt, und einer schlechten insbesondere, für ihre Kinder entstehen, sind den Eltern mehrentheils unbekannt, und haben sich auch erst durch den Gebrauch und sorgfältige Beobachtung herausgestellt. Eine schwere Hand, Zittern in den Fingern, krampfhaftes Zusammenziehen des Daumes (Daumenkrampf) sind leider gewöhnliche Folgen des Gebrauchs der Stahlfedern beim ersten Schreibunterrricht. Rechnet man nun noch hinzu, wie sehr sich die Kinder dadurch verwöhnen und nachmals klagen, daß sie mit einer Gänsefeder gar nicht schreiben können, so sollte man billig in den Schulen beim Unterrichte den Gebrauch der Stahlfedern nicht gestatten, […]. Leider aber wird der schädliche Gebrauch von manchen Lehrern nur zu gern befördert, weil sie dadurch dem lästigen Federschneiden und Corrigiren derselben entgehen.“ (5)

Außerdem wird auch über Vergiftungssymptome diskutiert. Hierzu führt ein Befürworter der Stahlfedernutzung an: „Ich stelle nicht in Abrede, daß sich durch Berührung der Stahlfeder mit der Tinte Grünspan, oder andere Gifte erzeugen. Was schadet das aber? Kein verständiger Lehrer wird doch wohl die Unsitte dulden, daß die Kinder mit ihrem Munde (es soll schon vorgekommen sein) die Feder reinigen? So wären auch Gänsefeder nachtheilig; denn Tinte kann schwerlich der Gesundheit zuträglich sein.“ (6)

Der pädagogische Kompromiss zwischen Gegner und Befürwortern der Stahlfeder im Unterricht lief auf die Festlegung der Altersstufe hinaus, in der der Übergang vom Griffel zur Gänsefeder und dann zur Stahlfeder vertretbar sei.

Zitate
(1) Elisabeth Vaupel: Vom Gänsekiel zur Stahlfeder, S. 147(2) Die Stahlfeder in der Schule, in: Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung Nr. 52/1856, S. 377

(3) Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung Nr. 35/1856, S. 253

(4) Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung Nr. 52/1856, S. 377

(5) Ueber den Gebrauch der Stahlfedern beim Schreibunterricht, in: Schulblatt für die Provinz Brandenburg H.4/1845, S. 772 f.

(6) Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung Nr. 35/1856, S. 254

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