Gesichtserkennung – Gestern – Heute – Morgen

Süddeutsche Zeitung vom 19.08.2014 – Grenzbeamte an Flughäfen können gefälschte Passfotos oft nicht erkennen.
Der Vergleich fremder Gesichter mit Fotos fällt ihnen ähnlich schwer wie Ungeübten, berichten australische und britische Psychologen im Fachmagazin Plos One. […] Vertraute Gesichter können Menschen zwar sehr gut vergleichen. Das exakte Vergleichen fremder Gesichter kann dagegen nicht antrainiert werden, vermuten die Forscher. Dafür könnte eine spezielle Begabung notwendig sein. […] (Wenleder 2014)


1895 – Über den geringen Nutzen der Fotografie zur Erkennung von Verbrechern
Gedächtnisbild_Bertillonage
„Wenn eine Klage der Polizeiämter berechtigt ist, so ist es diejenige über den geringen Nutzen der Photographie zur Erreichung eines flüchtigen Uebelthäters. – So vorzüglich sie sich bewährt hat, sagt man, um eine vermutete gegenwärtige Persönlichkeit festzustellen, so unzulänglich erweist sie sich als Ausforschungsmittel und es kann dem gewiegtesten Detektiv täglich begegnen, dass er an einem Menschen, dessen Bild er in der Tasche trägt, vorbeigeht, ohne ihn zu erkennen. Nun liegt sicher ein wenig Widerspruch darin, wenn man einerseits solche Misserfolge einer Unzulänglichkeit der Photographie zuschreibt und sie andererseits doch als ein Wiedererkennungsmittel von bedeutender Wirksamkeit anerkennt. Wir behaupten und glauben es bewiesen zu haben, dass das photographische Bild nach beiden Richtungen allen Anforderungen entsprechen und bedeutendere Dienste leisten würde, wenn die Fahndungsbeamten mit ihrem Gebrauche vertrauter wären, um ein Bild zu zerlegen, zu beschreiben, förmlich auswendig zu lernen; denn man muss, um das richtig anzuschauen, was man erblickt, schon im voraus wissen, welche Punkte man ansehen soll.“ (Bertillon 1895, S. XII)

Das Porträt parlé
„Wir können nur das wieder vor unser geistiges Auge rufen, was wir beschreiben können.“ (Bertillon 1895, S. XIII)Ohrenform_Bertillonage

Die Fotografie wurde in der Bertillonage durch das „Porträt parlé“ oder „Gedächtnisbild“ ergänzt, die es möglich macht, das Bild „förmlich auswendig zu lernen“. Mit Hilfe von „Deskriptoren“, also genauen Vorgaben für die Beschreibung von Nasen-, Ohrenformen usw. wurden die auf eine Karteikarte aufgeklebten Aufnahmen um ein „Porträt parlé“ erweitert.
Nach Forderung Bertillons Vorstellung sollten sich die Detektive, das Fahndungsbild selbst aktiv erschließen.
„[…] dass das beste und sogar einzige Mittel für den Detektiv, ein photographisches Bild gut dem Gedächtnis einzuprägen, darin besteht, sich eine genaue und vollständige Beschreibung desselben schriftlich anzufertigen […]. Der Fahndungsbeamte, der mit der schwierigen Aufgabe betraut ist, an der Hand einer Photographie einen Verbrecher auszuforschen und anzuhalten, muss im stande sein, die Züge und die Gestalt des Verfolgten aus dem Kopfe zu beschreiben, daraus mit einem Wort eine Art ‚Gedächtnisbild’ zu machen.“ (ebd. S. XIII)

USAToday 12.o2.2014

Google Glass

Die Erkennungsarbeit soll Streifenpolizisten durch Systeme wie Google Glass abgenommen werden, da sich mit Hilfe entsprechender Apps Gesichter automatisch mit denen aus einer Datenbank vergleichen lassen.

Literatur
Bertillon 1895: Das anthropometrische Signalement, 2. vermehrte Auflage mit einem Album, autorisierte deutsche Ausgabe von Dr. v. Sury, Professor der gerichtlichen Medizin an der Universität Basel, Leipzig
Wagner: Wolf-Rüdiger 2013: Bildungsziel Medialitätsbewusstsein, München, S. 185 – 203
Wenleder, Andreas 2014: Gesichter lesen. In: Süddeutschen Zeitung – Wissen 19.08.2014

Abb. „Gedächtnisbild“ und „Ohrläppchen“ aus Bertillon a.a.O.

Projektion von Fotografien vor Gericht zur „Findung der materiellen Wahrheit“

Demonstration gerichtlicher Photographien mit Laterna Magica auf dem Kongreß von Freunden der Lichtbildkunst – Berlin 1890
[Die Demonstration] lieferte ebenso überraschende wie überzeugende Beweise für die Wichtigkeit photographisch-mikroskopischer Aufnahmen zur Feststellung von Schuld oder Unschuld von Angeklagten. Als erstes Bespiel führte der Herr Redner folgenden Gerichtsfall vor, zu welchem er auf der Projektionsscheibe das vergrößerte Bild eines Haares erscheinen ließ. In einer Untersuchung wegen Mordes sei ihm dies Haar zur Untersuchung eingesandt worden; er habe gefunden, daß es alle Markmale eines ergrauten männlichen Barthaares an sich trage; es gehörte einem alten Scherenschleifer an, welcher des Mordes verdächtig wurde. Zum Vergleich mit diesem Barthaar war dem Herrn Vortragenden ein zweites Haar zugesandt; dasselbe war an der Ermordeten gefunden worden. Die Untersuchung ergab, daß es das Haar eines Säugethiers war, worauf die demselben eigenthümlich große Marksubstanz hinwies. […] Der Verdächtige wurde darauf hin in Freiheit gesetzt. Nach längerer Zeit wurde ein anderer Mann wegen Verdachtes an demselben Morde eingezogen; derselbe hatte einen Hund mit allen eben bezeichneten Eigenschaften; […] (Berliner Tageblatt. Erstes Beiblatt vom 1. Oktober 1890)

Endzweck der Photographie im Strafverfahren ist […] ganz erreicht, wenn sie schließlich im Gerichtssaale dazu dient, um als ein untrüglicher und neuer Faktor mit zur Findung der materiellen Wahrheit beizutragen.”[1]

Die Photographie als Hilfsmittel der Polizei und Justiz zur Findung der materiellen Wahrheit pdf