Das Silhouettenschneiden – Mode mit Beigeschmack?

Graf Étienne de Silhouette (1719 bis 1767), Finanz- und Sparminister unter Ludwig  XV., ist Liebhaber, aber nicht Erfinder des nach ihm benannten Schattenbildes. „À la silhouette“ – daran haftete ursprünglich die Vorstellung von Ärmlichkeit und Billigkeit. Bald entwickelte sich das Silhouettenzeichnen und -sammeln zur Mode.  Dazu trug nicht unwesentlich der Schweizer Johann Caspar Lavater (1741 – 1801) bei.
Lavater wurde durch seine „Physiognomischen Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe“ (1775–78) bekannt , in denen er Anleitung gab, verschiedene Charaktere anhand der Gesichtszüge und Körperformen zu erkennen. Mit dieser Theorie der Physiognomik trug er wesentlich zur Popularität des Schattenrisses in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland bei.
Nach Lavater lassen die veränderlichenTeile des Gesichts – der Mund, die Lippen, die Gesichtsmuskeln – keinen Rückschluss auf den Charakter eines Menschen zu. Sie bieten Möglichkeiten sich zu verstellen.  Lavater ging davon aus, dass
„… eine verlässliche Auskunft über den menschlichen Charakter nur durch das von Gott verliehene unveränderliche Material, also seine Knochenstruktur, nicht etwa seine ‚Befleischung‘ “ zu erhalten sei (Lavater, Physiognomische Fragmente, S. 132).  Das ideale Medium zur Darstellung der „Knochenstruktur“ eines lebenden Objekts war für Lavater der Schattenriss : „Die Physiognomik hat keinen zuverlässigeren, unwiderlegbarern Beweis ihrer objektifen Wahrhaftigkeit als die Schattenrisse.“ (ebd. S. 248)

Lavaters Vorrichtung zum Abzeichnen von Silhouetten
Als historische Kuriosität zeigen wir eine Vorrichtung, über die früher viel gesprochen wurde, die großen Erfolg hatte und die die Aufmerksamkeit von Wissenschaftlern und Physiologen auf sich zog, gegenwärtig jedoch überhaupt nicht mehr in Gebrauch ist. In seinem berühmten Werk über Physiognomie beschreibt Lavater das genau arbeitende und praktische Gerät zum Silhouettenzeichnen. Der Stich gibt die Vorrichtung so gut wieder, dass es unnötig ist, sich auf eine detaillierte Beschreibung einzulassen.
Nach Lavaters Auffassung kann eine Silhouette im Prinzip nach Länge und Breite des Gesichtes beurteilt werden. Zur Unterstützung dieser Beobachtung führt Lavater eine Reihe exemplarischer Silhouetten vor und hebt mit Nachdruck die Schlüsse hervor, die er aus ihrer Untersuchung zieht. Wir zeigen fünf dieser Beispiele.

In Nr. 1 erkennt Lavater eine aufrechte Seele, ein ausgeglichenes Gemüt, Geschmack und Offenheit.
Bei Nr. 2 sind die Umrisse der Nase ein untrügliches Merkmal für einen guten Charakter.
In Nr. 3 sehen wir ein Beispiel für klare Urteilskraft.
Die Wissenschaft der Physiognomie erscheint uns kindisch. Vielleicht stellt sie einen angenehmen Zeitvertreib dar. Aus wissenschaftlicher Sicht ist sie nicht mehr als dies. Dennoch erzielte Lavater große Erfolge in Europa. Viele Personen strömten nach Zürich, um den berühmten Philosophen zu sehen und ihn nach den Geheimnissen ihres Charakters, ja sogar ihres Schicksals zu befragen.(Auszüge aus einem Artikel in: Scientific American 16.04.1881, S. 249)

Fotografie im Dienste der Eugenik

In der Diskussion über das Buch „Deutschland schafft sich ab“ wird – mit Recht – der Vorwurf erhoben, Thilo Sarrazins vertrete die Ansicht, die Schichtung einer Gesellschaft  beruhe überwiegend auf der  „natürlicher biologischer Auslese“ („Welch hoffnungsloses Menschenbild!“ / „Die Gene sind schuld“).  In diesem Zusammenhang taucht der Begriff Eugenik und damit auch der Name des britischen Naturforschers und Schriftsteller Francis Galton (1822 – 1911) auf. Nach der „Enclyclopedia Britannica“ wurde der Begriff Eugenik 1884 zum ersten Mal von Galton benutzt.

Mit Hilfe der Fotografie wollte Galton gemeinsame Merkmale von Ethnien und Berufsgruppen, aber auch den Typus des Verbrechers herausarbeiten.   Er benutzte dafür sogenannte Komposit-Porträts.  Dabei wurden gleich große Porträts von Angehörigen einer Gruppe – Offiziere, Verbrecher, Verwandte – nacheinander auf dieselbe Platte aufgenommen, so dass ein „Idealportrait“ entsteht, das die Gesichtszüge aller Beteiligten vereint. Durch die Übereinanderschichtung dieser Porträts sollten sich die individuellen Besonderheiten verwischen und gemeinsame Merkmale eines „Typus“ hervortreten.
Durch die  Komposit-Portäts sollte der statistische Durchschnitt innerhalb einer Personengruppe fotografisch darstellbar werden. Galtons Ziel war es, die Reinheit der „angelsächsischen Rasse“ zu erhalten. Deshalb wollte er die Gruppen identifizieren, die seiner Ansicht nach von der Fortpflanzung ausgeschlossen werden müssten, damit sie nicht weiter zur Degeneration des englischen Volkskörpers beitragen könnten.
Durch das im 19. Jahrhundert als naturwissenschaftlich exakt geltende  Medium der Fotografie  sollte über die Methode des  Komposit-Porträts nicht nur die Vererbbarkeit von kriminellen Anlagen anhand von äußerlichen Merkmalen nachgewiesen werden, sondern es ging auch um die Konstruktion von Rassenunterschieden im Sinne von Höher- bzw. Minderwertigkeit

Galton stand nicht alleine mit dem Versuch, „steng naturwissenschaftlich“ aus äußeren Mermalen auf Charaktereigenschaften und vererbte Anlagen schließen zu wollen. Zu nennen wäre unter anderem Cesare Lombroso ( 1835 bis 1909), ein italienischer Arzt und Professor für Medizin und Psychiatrie. Nach Lombroso sind bestimmte Schädelformen oder z. B. zusammengewachsene Augenbrauen ein Hinweis auf eine niedrige und gewalttätige Entwicklungsstufe, die auf tief verwurzelte Anlagen zum Verbrecher hindeutet, die auch durch die Aneignung sozialer Verhaltensweisen nicht überdeckt werden können.

Vor dem Hintergrund dieser anthroplogischen Ansätze, Menschen nach Äuerßlichkeiten zu klassifizieren, verliert auch das seit dem 18. Jahrhundert aufkommende Interesse am Zeichnen und Sammeln von Silhouetten etwas von seiner biedermeierlichen Unschuld. Das „Schnellporträt“ Silhouette wird so nicht nur als Vorläufermedium der Fotografie mediengeschichtlich interessant.