Medienpädagogische Warnung an Freunde der Großtechnologien

INTEL PRODUCTS ARE NOT INTENDED FOR USE IN MEDICAL, LIFE SAVING, OR LIFE SUSTAINING APPLICATIONS

14. Juli 2010 – Reuters meldet: Der weltgrößte Chiphersteller Intel hat mit seinen Bilanzdaten die Märkte positiv überrascht.

Fehler in der Arithmetik von Computern

Besonders der endliche Speicher des Computers ist die Quelle ernsthafter und tiefer Probleme. Denn Computer sind ‚mathematische‘ Werkzeuge; sie dienen als Werkzeug für mathematische Berechnungen, für die mathematische Modellbildung, für Simulationsverfahren aller Art. In der Mathematik gehört jedoch der Umgang mit unendlichen Mengen, insbesondere mit der Menge der reellen Zahlen zum Alltag. Und solche Mengen lassen sich nicht oder nur sehr schwer im Computer darstellen. Die klassische Software (Programmiersprachen, Anwendersoftware) verwendet meist die ‚Gleitkomma-Technik‘ zur Darstellung von reelen Zahlen  […] Jede in der Realität vorkommende reelle Zahl muss bei der Übertragung in den Computer einer dieser Gleitkommazahlen zugeordnet werden. […]
Man kann den Rechnungen auf der Basis der Gleitkommazahlen, streng genommen, nicht rauen; dennoch wird es tagtäglich milliardenfach getan. Und natürlich wird der Mikroprozessor, vor dessen Benutzung Herstellerfirmen [wie Intel warnen], auch in Situationen eingesetzt, wo das Leben und die Gesundheit von Menschen vom ‚richtigen‘ Funktionieren des Prozessors abhängt.

Ziegenbalg, Jochen; Ziegenbalg, Oliver; Ziegenbalg Bernd [2016]: Algorithmen von Hammurapi bis Gödel. Springer Spectrum: Wiesbaden; S. 191f.

Fehlerfreiheit
In Spezialfällen ist ein Beweis der Fehlerfreiheit eines Programms möglich. Insbesondere in Bereichen, in denen der Einsatz von Software mit hohen finanziellen, wirtschaftlichen oder menschlichen Risiken verbunden ist, wie z. B. bei militärisch oder medizinisch genutzter Software oder in der Luft- und Raumfahrt, verwendet man zudem eine (formale) Verifizierung genannte Methode, bei der die Korrektheit einer Software formal-mathematisch nachgewiesen wird. Dieser Methode sind allerdings wegen des enormen Aufwands enge Grenzen gesetzt und sie ist daher bei komplexen Programmen praktisch unmöglich durchzuführen (siehe auch Berechenbarkeit). Allerdings gibt es mittlerweile Werkzeuge, die diesen Nachweis laut eigenen Angaben zumindest für Teilbereiche (Laufzeitfehler) schnell und zuverlässig erbringen können.

 

Ehrenrettung für einen Barockdichter und den Nürnberger Trichter

Wer den Computereinsatz in der Schule kritisiert, bemüht gerne den polemischen Vergleich mit dem Nürberger Trichter. Bei dem Gehirnforscher Manfred Spitzer klingt das so: „Glaubt man den Gurus von E-Learning, Edutainment, Computer-Literacy und Medienkompetenz, dann handelt es sich bei einem Computer um eine Art High-tech-Nürnberger Trichter, mit dem nun endlich – nach Jahrtausenden der Plage – das Lernen bei unseren Kindern wie von selbst gelingt.“ (http://www.gwg-ev.org/cms/cms.php?fileid=410)

Das geflügelte Wort „Nürnberger Trichter“ geht auf den Titel eines Poetiklehrbuchs des Nürnberger Barockdichters Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658) zurück, das unter dem Titel „Poetischer Trichter. Die Teutsche Dicht- und Reimkunst, ohne Behuf der lateinischen Sprache, in VI Stunden einzugießen“ 1647 in Nürnberg erschien.

Ein Blick in das Poetiklehrbuch selbst zeigt, dass hier keineswegs einem mechanischem „Eintrichtern“ das Wort geredet wird. Der „Trichter“ ist für Harsdörffer ein Symbol für den sorgsamen Umgang mit Zeit. Wein wachse jedes Jahr neu nach, aber trotzdem fülle man den neuen Wein durch Trichter in Flaschen und Fässer, „daß alle Tropffen davon zu Nutzen kommen: die Zeit lassen wir ohne Nutzen verfliessen und achten für nichts viel gute Stunden übel anzulegen welcher Verlust doch mit aller Welt Reichthum und Arbeit nicht widerum zuwegengebracht werden kann“. Das Erlernen der Dichtkunst ohne systematische Anweisungen käme also nach Harsdörffer dem Einfüllen von Wein ohne Trichter, also der Vergeudung von Zeit gleich.

Mit seinem „Poetischen Trichter“ verbindet Harsdörffer vor allem die – pädagogisch durchaus sympathische – Vorstellungen, dass man auch in Deutsch, also der Volkssprache, dichten kann, und das Dichten bei richtiger Anleitung erlernbar sei: „Wie nun kein Acker so schlecht und unartig zu finden den man nicht durch Fleiß und beharrliche Pflegung und Arbeit solte fruchtbar machen könen: Also ist auch keiner so unreines Hirns der nit durch Nachsinnen auf vorher erlangte Anweisung (welche gleichsam der Wuchersame ist) eine gebundene Rede oder ein Reimgedicht zusammenbringen sollte lernen können: iedoch einer viel glückseliger als der andere.“

Allerdings wird man ohne „poetischen Geist“ die „Dicht- und Reimkunst“ auch nach den sechs Lektionen nur „zur Noht und nicht vollkömmlich“ beherrschen. Also ist die „Dicht- und Reimkunst“ doch nicht nur „einzugiessen“: „Schlüßlich müssen die sechs Stunden nicht eben auf einen Tag nacheinander genommen und das Gedächtniß überhäuffet werden; sondern etwan in drey oder vier Tagen mit reiffem Nachsinnen der unbekannten Kunstwörter; nachdem man es bald oder langsam fasset und erlernet.“

Nun muss man in Harsdörffer mit seiner barocken Vorliebe für Reimschemata und Kombinatorik nicht unbedingt den direkten Vorläufer konstruktivistischer Lerntheorien oder des Methodentrainings entdecken. Mit Wilhelm Busch und dem Lehrer Lämpel hat Harsdörffers poetischer Trichter aber genauso wenig zu tun wie Medienkritik à la Spitzer mit der pädagogischen Diskussion über Medienkompetenz oder dem Einsatz der neuen Medien in der Unterrichtspraxis.

Zitate nach: Georg Philipp Harsdörfer: Poetischer Trichter – Die Teutsche Dicht- und Reimkunst/ ohne Behuf der Lateinischen Sprache/ in VI Stunden einzugiessen, Nürnberg 1648 – 1653, Georg Olms Verlag, Hildesheim u. New York 1971 (Reprografischer Nachdruck)

Abb.: Harsdörffer als poeta laureatus – http://www.deutschefotothek.de/?df_tg_0002803&sortby=aufnahmenr&sort=asc&dmode=galery