1900 – Die multisensorische Illusion einer Schiffsreise

Das Maréorama

Weltausstellung 1900 in Paris. Im Unterhaltungsangebot finden sich viele Panoramen. In den klassischen Panoramagebäuden konnten die Besucher den 360-Grad-Rundblick auf berühmte Stadtansichten und Landschaften von einer Aussichtsplattform aus genießen.

Es gäbe zahlreiche „Panoramen“ auf dem Gelände der Weltausstellung, aber nicht alle seien gleich interessant, liest man in der Ausgabe der populärwissenschaftliche Zeitschrift „La Nature“ vom Juni 1900. Vorgestellt werden in der Zeitschrift „moving panoramas“. Das Neue und Interessante an diesen Medien sei, dass den Besuchern dabei der Eindruck vermittelt werde, er bewege sich durch die Szenerie oder Landschaft (La Nature 1990, S. 402 ff.). Die Landschaft „ziehe“ an den Besuchern vorbei, so wie sie Reisende aus einem Zugabteil heraus, vom Deck eines Kreuzfahrtschiffes oder aus dem Korb eines Heißluftballons erlebten.

Le Maréorama_La Nature 1900_ S. 68Unter diesen „moving panoramas“ verdiente nach der Zeitschrift „La Nature“ das „Maréorama“ besondere Aufmerksamkeit. Bei „moving panoramas“ bewegte sich bisher die Leinwand und der Zuschauer hatte den Eindruck, dass er sich bewegte, aber er spürte, dass sein Körper an der Bewegung nicht beteiligt war. Die Illusion war ganz und gar nicht perfekt. (La Nature 1900/2 S. 67) Das Maréoramar versprach dagegen ein multisensorische Erlebnis. Auf dem Deck eines Dampfers erlebte der Besucher eine Kreuzfahrt von Marseille nach Konstantinopel. Eine Vorrichtung sorgt für das Rollen und Stampfen des Decks. Rauchende Schornsteine und Dampfsirenen erhöhten die Illusion, während See- und Landszenen am Zuschauer vorüberzogen. Der Zuschauer erlebte Sonnenaufgänge, Nacht auf dem Mittelmeer und mit zuckenden Blitze und krachenden Donnerschlägen heraufziehende Unwetter. „Von Bord“ konnten Ansichtskarten mit Motiven der „Kreuzfahrt“ verschickt werden.

Im Verlauf der Reise wurde das Schaukeln des Schiffes stärker. Man hörte die Geräusche der Schiffschraube und der Dampfsirenen. Sogar Teergeruch lag in der Luft. Um die Illusion zu erhöhen eilten Besatzungsmitglieder über das Deck, um seekranken Passagieren zu helfen.Le Maréorama_La Nature 1900_ S. 69

Während der „Kreuzfahrt“ zogen an Back- und Steuerbord zwei Leinwände mit einer Länge von 750 Metern und einer Höhe von 13 Metern an den Zuschauern vorbei. Komplizierter Mechanismen waren erforderlich, damit die 10.000 Quadratmeter Leinwand auf beiden Seiten gleichmäßig und störungsfrei auf- und abgewickelt wurden. Nicht weniger aufwendiger war die Kardanaufhängung des „Schiffsdecks“, um die gegenläufigen Bewegungen des Rollens und Stampfens zu simulieren.

Quellen
La Nature. Revue des sciences et de leurs applications aux arts et à l’industrie: Les panoramas à l‘exposition II. Le maréorama, 1900/2 S. 67 – 69
Huhtamo, Erkki: Illusions in Motion. Media Aechaeology of the Moving Panorama and Related Spectacles, MIT 2013, S. 309 – 329
Abb.1 u. 2  La Nature. Revue des sciences et de leurs applications aux arts et à l’industrie, 1900/2 S. 68

 

Ausflug in die Frühzeit der Massenmedien

 Den Haag

Den Haag – Panorama Mesdag

Ausschnitt des Panorama Mesdag

Hendrik Mesdag war 1866 bereits 35 Jahre alt, als er sich entschloss, den Beruf des Kunstmalers zu ergreifen. Im Mai 1881 begann er mit Hilfe einiger Kollegen die aus Belgien geliefert Leinwand von 14,4 Metern Höhe und 114,5 Metern Länge mit einem Panorama von Scheveningen zu bemalen. Am 1. August 1881 wurde Mesdags maritimes Panorama eröffnet. Schon 1885 ging das Panorama in Konkurs. Daraufhin erwarb Mesdag das Panorama selbst. Heute wird das Panorama als Familienunternehmen mit Non-Profit-Charakter betrieben.Dieser Ausflug in die Frühzeit der Massenmedien lohnt sich, denn dieses Panorama hat noch nichts von seiner Faszination verloren! Panorama Mesdag

 Die ersten Panoramen entstanden in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts, gerieten dann aber in Vergessenheit und wurden unter anderem aufgrund der Erfindung der Fotografie wiederentdeckt. (Daguerre, einer der Erfinder Fotografie, hatte als Panorama- bzw. Dioramamaler gearbeitet.) Das Panorama erlebte dann noch einmal in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine neue Blüte als der Fortschrit in der Webtechnik es erlaubt, breitere Bahnen zu weben, so dass größere Panoramen möglich wurden. Die Errichtung von neuen Panoramen wurde durch Aktiengesellschaften betrieben, deren Aktien u. a. an der Brüsseler Börse gehandelt wurden. In diesem Kontext entstand auch das Mesdag Panorama.Weitere Informationen zum Panorama als frühem Massenmedium
 IMG_0953IMG_0952
 Meyers Konversationslexikon
 Panorama (griech., „Allschau, Allübersicht“), eine besondere Art von Landschaftsgemälden, welche theils durch die Totalität der Rundschau, theils durch die als Wirkungsmoment angewandte Bewegung des Standpunktes weniger auf den künstlerischen Schein als auf natürliche Illusion berechnet sind. Bei dem Landschaftsgemälde im gewöhnliche Sinnch ist nämlich der Standpunkt des Beschauers als fest angenommen, und es wird nur so viel von dem Natur-Sichtbaren dargestellt, als (das Auge als Spitze eines Kegels angenommen, dessen Winkel 900 beträgt) in den dadurch gebildeten Sehkreis fällt. Ein natürliches P. bietet sich dem Beschauer dar, wenn er, etwa auf einem hohen Berg stehend, sich allmählich im Kreis dreht und so die ganze Umgegend nach und nach an seinem Auge vorüberziehen sieht. Denkt man sich nun dieses Band, welches den Beschauer cylinderförmig umgibt, an einer Stelle von oben nach unten zerschnitten und der Breit nach auf eine gerade Fläche ausgebreitet, so hat man die Darstellung eines Panorama’s. Um dasselbe zu sehen, ist also eine künstliche Vorrichtung nöthig, wodurch die Bewegung des Nacheinander dargestellt wird. Dies kann auf doppelte Weise geschehen: entweder wird das Längenbild langsam vor den Augen des Beschauers vorübergezogen (Cyklorama) oder es bedeckt, in sich zurückkehrend , die Wand eines cylinderförmigen Raums, an welcher der Beschauer allmählich herumwandelt (eigentliches P.). Indem nun durch künstliche, dem Beschauer, der sich selbst im Dunkeln befindet, nicht direkt sichtbare Beleuchtung, sei es von oben durch koncentriertes Tageslicht, sei es durch Lampen, das Gemälde derartig in Wirkung gesetzt wird, daß es dem Natureindruck möglichst nahekommt, so entsteht jene Illusion, welche der eigentliche Zweck des Panorama’s ist und zuweilen noch durch künstliche Naturnachahmung atmosphärischer Erscheinungen, wie Donner, Regen, Schneefall und dgl., verstärkt wird. Die Panoramen sind von dem irischen Maler Robert Parker 1787 erfunden, welcher zuerst im kleinen mit der Ansicht von Edinburg machte und später in London eine 30 Meter im Durchmesser haltende Rotunde ausführen ließ…Meyers Konversations-Lexikon 3. Aufl, Bd. 3, Leipzig 1887, S. 534 f.